Du möchtest dir das Interview lieber anhören? Kein Problem, wir haben es für dich eingesprochen:

Carina (C): Stell dich doch erstmal vor.
Annika (A): Gerne. Also ich bin Annika. Ich bin 22 Jahre alt und studiere jetzt im fünften Semester Sonderpädagogik an der Uni Köln. Irgendwann dieses Jahr steht auch meine Bachelorarbeit an und dann würde ich natürlich gerne mit dem Master weitermachen. In meiner Freizeit klettere ich sehr gerne, aber das ist ja jetzt gerade leider nicht möglich. Ansonsten vertreibe ich mir gern die Zeit mit joggen gehen und lesen. Mit meinen Mitbewohnern trinke ich abends auch gerne mal zusammen ein Bier.

Annika hat eine Hörbeeinträchtigung. Sie lächelt in die Kamera; im Hintergrund ist ein Fluss zu sehen
Annika joggt gerne draußen in der Natur. Foto: privat

C: Und was ist deine Beeinträchtigung?
A: Ich habe eine beidseitige, hochgradige Hörschädigung und bin mit zwei Hörgeräten versorgt.

C: Und wie schränkt dich diese Beeinträchtigung im Studienalltag ein?
A: Wo fange ich an? Also ich würde sagen, dass ich im Großen und Ganzen schon ganz gut zurechtkomme. Man müsste vielleicht differenzieren zwischen der Online- und der Präsenzlehre.
Ich fange mal mit der Präsenzlehre an: Also in der Präsenzlehre ist es tatsächlich immer abhängig davon, in welchem Raum ich bin. Grundsätzlich sind Seminarräume mit maximal 50 Personen ein bisschen angenehmer als große Hörsäle. Da wird zwar meistens mit Mikrofon gesprochen, aber das ist dann auch nicht immer die beste Tonqualität. Es kam aber auch schon vor, dass dann gar kein Mikrofon verwendet wurde. Das ist für mich dann natürlich schon ein bisschen schwerer als für die Anderen.
Generell ist es aber unglaublich anstrengend, eineinhalb Stunden am Stück zuzuhören. Das ist für gut hörende Menschen schon anstrengend, aber wenn dann noch eine Hörschädigung dazu kommt, kostet es noch mehr Energie, das Gehörte zu verarbeiten. Ein paar Dozierende wissen das auch und planen ihre Vorlesungen mit kurzen Pausen zwischendurch. Das ist dann immer ganz angenehm. So viel zur Präsenzlehre.

C: Und wie ist es jetzt bei der Onlinelehre?
A: Bei der Onlinelehre fehlt zum Beispiel das differenzierte Mundbild, was ich am Bildschirm nicht immer deutlich erkennen kann. Das hilft mir allerdings sehr zu verstehen, was eine Person sagt, denn dann kombiniere ich das, was ich sehe, mit dem, was ich höre. Aber auch die Tonqualität ist eine ganz andere, als wenn man jemanden persönlich vor sich stehen oder sitzen hat. Manchmal gibt es auch technische Schwierigkeiten. Das sind Faktoren, die es nicht immer leicht machen.

C: Warum hast du dich denn damals für die Uni Köln entschieden? Gab es da einen bestimmten Grund?
A: Ja. Ich wollte unbedingt Sonderpädagogik mit dem Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation studieren. Das wäre aber, zumindest als ich mich beworben habe, nur in Köln, an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg und in Berlin möglich gewesen. Köln ist am nächsten an meiner Heimat, also ungefähr hundert Kilometer entfernt. Das fand ich echt gut, weil ich einerseits natürlich auch raus und eine neue Stadt sehen wollte, andererseits bin ich aber auch super schnell wieder zurück in der Heimat. Das geht innerhalb von zwei Stunden und ich kann umsonst mit meinem Ticket dahin fahren. Meine Schwester hat schon vor mir angefangen, an der Uni Köln Sonderpädagogik zu studieren. Daher wusste ich, dass Köln eine coole Stadt ist, da ich sie ein paar Mal besucht habe. Ich fand es einfach toll hier.

C: Und wie bist du vorgegangen, um den Studienplatz zu bekommen? Hast du einen Härtefallantrag gestellt oder so?
A: Nein. Ich habe mich ganz normal über das Online-Portal beworben und gehofft, dass ich angenommen werde. Ich muss allerdings dazu sagen, dass es vom NC auf jeden Fall auch gepasst hat. Natürlich habe ich mich auch bei den anderen beiden Hochschulen in Berlin und Heidelberg beworben. In Berlin hatte ich auch eine Zusage, in Heidelberg hatte ich vergessen, ein Dokument einzureichen. Da ich dann aber schon eine Zusage für Köln hatte, habe ich es auch nicht mehr nachgereicht.
Zusätzlich hatte ich noch zwei Wartesemester. Das wird ja auch immer angerechnet und hat mir dann wahrscheinlich auch geholfen.

C: Und wie gehst du im Studienalltag mit deiner Beeinträchtigung um?
A: Also eigentlich ziemlich offen. Es gibt zwei Seiten. Auf der einen Seite gehe ich mit Kommiliton*innen und Dozierenden ziemlich offen damit um. Wenn es gerade notwendig ist, meine Hörschädigung zu erwähnen, dann mache ich es auch. Und da ich ja auch den Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation studiere, erwähne ich das auch einfach von mir aus ganz oft, weil ich dann anderen was dazu erklären kann. Zum Beispiel hatten wir ein Seminar zum Thema Hörhilfen und der hörtechnischen Versorgung. Da konnte ich dann einfach mal mein Hörgerät ausziehen und den anderen zeigen, wie das in echt aussieht und wo sich was befindet. Das ist das Besondere bei mir: Ich studiere etwas, was auch mit meiner Behinderung zu tun hat. Von daher muss ich mir da keine Sorgen machen, da gerade diesen Förderschwerpunkt viele Studierende mit einer Hörbeeinträchtigung studieren. Anfangs war es etwas neu für mich, nicht die einzige Hörgeschädigte zu sein, aber irgendwie finde ich das auch schön.
Auf der anderen Seite geht es um das Problem mit den digitalen Übertragungsanlagen. Das ist ein Gerät, bei dem die Dozierenden einen Sender bekommen. Man selbst hat am Hörgerät einen Empfänger. Dadurch wird das Gesprochene direkt auf das Hörgerät übertragen. Das hatte ich in der Grundschule und auch in der Sekundarstufe 1. Doch irgendwann kam dann die Pubertät und da wollte ich keine „Extrawurst“ mehr haben. Dann wollte ich diese Übertragungsanalgen nicht mehr an die Lehrkräfte austeilen, weil ich auch die einzige mit Hörschädigung war. Irgendwann war mir das einfach unangenehm. Seitdem habe ich das auch nicht mehr gemacht. Auch in der Uni nicht.
Ich hatte eben schon erzählt, dass die akustische Situation in den Hörsälen oft nicht gut ist. Mit der digitalen Übertragungsanlage könnte ich das überbrücken. Es gibt viele Studierende mit Hörschädigung, die das auch nutzen, aber ich nutze sie nicht. Ich denke immer, dass ich auch so zurechtkomme, jedoch würde es mir bestimmt auch helfen. Das ist eine Seite, wo ich nicht ganz so offen damit umgehe.

C: Ja, so Extrawürste kommen ja vielleicht auch bei den anderen nicht immer gut an, oder?
A: In meinem Studiengang kennen die meisten das ja schon. Da gibt es z.B. auch Dolmetscher und Dolmetscherinnen für Gebärdensprache. Aber irgendwie habe ich mich dran gewöhnt, das (die Übertragungsanlage) nicht mehr zu nutzen.

C: Würdest du denn sagen, dass die Uni Köln für dich barrierefrei ist? Oder gibt es Barrieren?
A: Ich studiere ja an der Humanwissenschaftlichen Fakultät. Ich kann mir vorstellen, dass die Fakultät auf jeden Fall andere Voraussetzungen hat als andere Fakultäten. Auf der Seite der Dozierenden bringen viele von ihnen Erfahrungen mit Menschen mit Beeinträchtigungen mit und sind dementsprechend offener. Ich kenne aber auch jemanden aus dem mathematischen Bereich, bei dem das nicht so ist. Da waren die Dozierenden nicht dazu bereit, einen Nachteilsausgleich zu gewähren. Es gibt auf jeden Fall Barrieren an der Uni Köln. Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung können vor allem von einer guten Raumausstattung profitieren. Es gibt so viele Möglichkeiten einen Raum schalldicht zu gestalten. Dazu gehören zum Beispiel Teppiche oder schallschluckende Decken und Wände, aber auch eine adäquate Mikroanlage oder innovative SoundField Anlagen. Davon profitieren übrigens auch gut hörende Menschen. Das ist in vielen Dingen so und da gibt es auf jeden Fall noch Verbesserungsmöglichkeiten.
Das Einzige, was ich selbst tun kann, ist, mich nach ganz vorne zu setzen, damit ich das Mundbild der Person sehen kann.

C: Welche Art von Nachteilsausgleichen hast du denn schon in Anspruch genommen?
A: In meinem Studium noch gar keine. Ich hätte natürlich einen Anspruch auf einen Nachteilsausgleich, aber ich habe nie das Bedürfnis oder das Gefühl gehabt, dass ich das brauche. Was bei uns, glaube ich, gemacht wird, ist eine Zeitverlängerung bei einer Klausur, bei der man dann ein Drittel mehr Zeit hat. Außerdem wird die Grammatik und Rechtschreibung bei Deutschklausuren nicht so stark gewichtet. Ich bin aber immer gut ohne Nachteilsausgleich zurechtgekommen.

C: Nutzt du denn irgendeine Form von Hilfsmitteln, außer deinen Hörgeräten, oder Assistenz für dein Studium?
A: Nein, ich nutze tatsächlich keine Hilfsmittel. Ich bin mir aber durchaus bewusst, dass es welche gibt. Es gibt Schriftdolmetschende. Das habe ich auch schon bei Kommiliton*innen gesehen. Dann kann man auf einem Bildschirm mitlesen, was die Dolmetschenden in Echtzeit mitschreiben. Und dann gibt es noch die digitale Übertragungsanlage. Das würde ich vielleicht mal wieder in Angriff nehmen, dass ich die nutze. Ansonsten nutze ich nichts. Aber ich spreche jetzt natürlich nur für mich.

C: Wie finanzierst du dein Studium? Kriegst du Bafög oder wie machst du das?
A: Ich bekomme kein Bafög, weil meine Familie leider gerade knapp über der Grenze ist. Ich habe das große Glück, dass meine Eltern mein WG-Zimmer bezahlen. Dafür bin ich ihnen auch sehr dankbar und es erleichtert vieles. Dazu bekomme ich noch mein Kindergeld, was ich im Monat für Essen und sonstige notwendige Dinge ausgebe.
Weiterhin erhalte ich das Deutschlandstipendium von der Uni Köln. Als ich mich darauf beworben habe, konnte ich mich gleichzeitig für das Stipendium für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung und für das Deutschlandstipendium bewerben. Es gibt auch noch das Sozialstipendium. Meine ganze Bewerbung hatte ich eigentlich auch auf das Stipendium für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung ausgerichtet. Im Endeffekt habe ich dann aber das Deutschlandstipendium bekommen. Ich weiß nicht, wie es dazu kam, aber man kriegt auch das gleiche Geld im Monat und im Prinzip sind es die gleichen Bestimmungen. Dieses Geld ist aber tatsächlich etwas, was ich eher zurücklege als Puffer, beispielsweise für die Hörgeräte. Alle fünf bis sechs Jahre bekomme ich neue Hörgeräte. Das Geld spare ich zum größten Teil auch, damit ich das finanzieren kann.

C: Bekommst du die nicht von der Krankenkasse bezahlt?
A: Schön wärs! Also bis zum Alter von 18 schon und ab dann muss man einen nicht ganz unerheblichen Eigenanteil leisten. Ich glaube der Festbetrag bei den Krankenkassen liegt so um die 800€ pro Seite und den Rest muss man dann eben selber tragen. Dazu kommen dann noch Reparaturen, neue Otoplastiken und Batterien. Da braucht man natürlich ganz viele von und das sind alles Dinge, die man selber bezahlen muss. Es gibt so ein paar Teile, die übernimmt die Krankenkasse wie zum Beispiel das Austauschen eines Schlauches.

C: Hast du denn noch einen Nebenjob oder so?
A: Ja, ich habe einen kleinen Nebenjob, den ich mache, weil er mir im Studium weiterhilft. Es ist aber auch irgendwie schön, mir mein eigenes Geld dazu zu verdienen und kleine Münzen zu haben, die ich einfach so ausgeben kann.

C: Was ist denn dein Nebenjob, wenn ich fragen darf?
A: Ich arbeite bei der Lebenshilfe, also in der Betreuung von Menschen mit Behinderung. Dafür bekomme ich eine Aufwandsentschädigung. Für mich ist der Job eine schöne Gelegenheit, Praxiserfahrungen zu sammeln und mir ein kleines Taschengeld zu verdienen.

C: Hast du schon mal Angebote der Uni Köln für Studierende mit Beeinträchtigung genutzt?
A: Ich war ganz am Anfang vom Studium mal im SSC, also dem Studierenden-Service-Center der Uni Köln. Dort gibt es auch eine Beratungsstelle für Studierende mit Behinderung. Da bin ich kurz gewesen, aber es war gerade keiner da. Man hat mir dann aber Adressen, E-Mail-Adressen und Telefonnummern gegeben, bei denen ich mich melden kann, wenn es Probleme gibt.

C: Aber bis jetzt gab es noch keine?
A: Nein, eigentlich nicht. Bevor ich mich auf mein Studium beworben habe, war ich auch mal an der Universität in Düsseldorf. Da hat man mir super viele Prospekte und Flyer mitgegeben. Da konnte ich mich auch schon ein bisschen informieren. Ich weiß aber auch, dass es zum Beispiel an der Humanwissenschaftlichen Fakultät Ansprechpartner*innen gibt. Da ist sogar ein Dozent von mir. Also ich wüsste auf jeden Fall, wo ich mich bei Problemen melden kann.

C: Welche Angebote für Studierende mit Beeinträchtigung würdest du dir noch wünschen, die es jetzt noch nicht gibt?
A: Irgendetwas, was wirklich übersichtlich ist. Die Uni Köln ist halt eine Massenuni, die aus verschiedenen Fakultäten mit verschiedenen Lehrstühlen besteht. Jeder ist irgendwie für etwas anderes zuständig und dann hat jede Fakultät nochmal eine eigene Website. Ich finde die Navigation auf der Website der Uni Köln sowieso schon total unübersichtlich. Ich würde mir wünschen, dass man alle wichtigen Informationen auf einen Schlag abrufen kann, und zwar für jede Fakultät oder auch für jede Art von Behinderung. Natürlich kann ich das auf der Website finden, aber trotzdem habe ich nicht das Gefühl, dass ich genau weiß, wer, was, wann, wo macht und wer wofür zuständig ist und wo ich mir eben die Informationen holen kann, die ich brauche.
Mir wäre es auch wichtig, dass sich Dozierende, die nichts mit meinem Studiengang zu tun haben, auch mit Menschen mit Behinderungen auseinandersetzen. Viele haben keine Ahnung davon oder reagieren distanziert. Man sollte alle informieren und aufklären, sodass jeder Dozierende darauf vorbereitet ist, dass auch mal Studierende mit Behinderungen an ihren Seminaren oder Vorlesungen teilnehmen. Ich würde mir schon wünschen, dass man dann nicht auf diese Barrieren stößt. Ein guter Freund von mir hat einen Nachteilsausgleich nicht gewährt bekommen, da sich der Dozent nicht damit auseinandersetzen wollte. Ihm war das zu kompliziert und ein zu großer Aufwand. Sowas darf einfach nicht passieren, dass man da so untergraben wird!

C: Was! Ehrlich?
A: Als ich diese E-Mail gelesen habe, war ich so sauer. Ich riet meinem Freund sofort, sich bei einem Vorgesetzten zu beschweren. Der Dozent hat von meinem Kumpel erwartet, dass er während einer Online-Klausur seine Hörgeräte ausziehen muss. Er kann doch nicht von irgendwem verlangen, dass er quasi seine Ohren ausziehen soll. Eigentlich müssten alle anderen Kommiliton*innen dann ja auch Ohropax tragen, damit bloß keiner etwas hören kann. Was würde denn passieren, wenn der Feueralarm dann losgeht? Das hört mein Kumpel dann nicht mehr. Im Endeffekt hat sich das dann aber auch geklärt. Er musste seine Hörgeräte nicht ausziehen, hat aber, glaube ich, keinen Nachteilsausgleich bekommen. Das war eine Matheklausur. Der Dozent hatte ihn dann auch gefragt, wo denn überhaupt der Nachteil für ihn wäre. Und das ist eben auch ein Problem, finde ich. Man muss sich immer rechtfertigen, es heißt immer: „Du hast doch nur eine Hörschädigung, du bist doch nicht blöd“ oder „Du bist doch intelligent!“ Man kann auch niemandem etwas vorwerfen, wenn man nicht aufgeklärt ist. Man ist eben auf einen Nachteilsausgleich angewiesen, weil andere mir gegenüber einen Vorteil haben. Eben dadurch, dass sie keine Behinderung haben. Und dann muss man auch immer erklären, dass Hörschädigung nichts mit Intelligenz zu tun hat, sondern damit, wie Informationen aufgenommen und verarbeitet werden. Das ist oft auch sehr bloßstellend, finde ich.

C: Was möchtest du denn anderen Studierenden mit Beeinträchtigung mit auf den Weg geben?
A: Alle dürfen sich trauen, die eigenen Bedürfnisse zu kommunizieren, darüber zu sprechen und auch ehrlich zu sagen, was man braucht. Es ist euer gutes Recht und Hilfe in Anspruch zu nehmen ist definitiv kein Zeichen von Schwäche. Und wenn das jetzt neue Studierende lesen: Herzlich Willkommen in der Universität zu Köln und viel Spaß beim Studium!

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