Carina (C): Dann fangen wir doch erst einmal damit an, dass du dich vorstellst und ein bisschen über dich erzählst.
Robert (R): Ich bin Robert und bin schon etwas älter – also über 35 – und studiere Kunst im Master. Meine Beeinträchtigung habe ich seit über 20 Jahren. Ich glaube, das wär’s erstmal.
C: Was sind denn deine Hobbys?
R: Ich befasse mich gerne mit Musik. Kochen finde ich auch ganz gut. Eigentlich habe ich nicht so viele Hobbys. Ok, ich beschäftige mich gerne mit unterschiedlichen Formen der Gestaltung: von Foto über Computergrafik bis hin zum Zeichnen. Das ist jetzt nicht mein Hobby, aber das ist so meine Leidenschaft. Wenn man meine Kunst als Hobby bezeichnen würde, wäre ich glaube ich ein bisschen sauer. Das füllt eigentlich alles aus. Ansonsten treffe ich mich gerne mit meinen Freunden auf einen Kaffee oder zum Quatschen. Das ist mir auch sehr wichtig.
C: Wie weit bist du denn schon in deinem Studium? Du hast ja bereits gesagt, dass du schon im Master bist.
R: Also ich habe mit der Diplomarbeit schon angefangen. Durch Corona verlängert sich das jetzt alles und auch die Regelstudienzeit wird die ganze Zeit verlängert. Ich dachte dann, dass es vielleicht Sinn macht, über die ganze Pandemie noch im Studium zu bleiben. Schließlich weiß man ja auch nicht, wie sich das beruflich dann entwickelt.
C: Warum hast du dich denn für die Hochschule entschieden, an der du studierst?
R: Ich würde sagen, dass das die Hochschule ist, die all meine Interessen lehrt. Ich glaube, in NRW und auch deutschlandweit gibt es nichts Vergleichbares.
C: Wie lief deine Bewerbungsphase ab?
R: Ich habe vorher schon eine gewisse Zeit gearbeitet. Ich habe noch ein anderes Diplom gemacht und habe da schon eine Menge Praxiserfahrungen sammeln können. Das kam damals bei der Hochschule ziemlich gut an. Ich glaube, dass ich dadurch auch einen Vorteil hatte. Bei der Aufnahme musste ich damals eine Bewerbungsmappe einreichen, die sich „Arbeitsprobe“ nennt. Damit zeigt man, was man bisher gemacht hat. Ich habe wirklich mein ganzes Leben da reingepackt. Ich glaube, das war auch ein Grund dafür, warum ich genommen wurde.
C: Kommen wir nun zu deiner Beeinträchtigung. Was hast du für eine Beeinträchtigung und wie schränkt sie dich im Studium ein?
R: Ok, das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Bei mir geht es um Psychosen. Die Beeinträchtigung ist alle paar Jahre so stark ausgeprägt, dass ich einen Klinikaufenthalt brauche. Wenn die Krankheit inaktiv ist, bin ich relativ funktionsfähig. Allerdings bleibt immer noch so ein gewisser Schatten da. Ich habe aber immer gelernt, nichts nach außen zu zeigen. Meine Mutter hat sehr viel aufgefangen. Außerdem bin ich immer unabhängig von staatlichen Systemen gewesen. Ich bin ganz normal zur Schule gegangen. Dort hatte ich Schwierigkeiten, die ich dann aber auch irgendwie gelöst habe. Ich bin es also nicht gewöhnt, dass eine staatliche Regulierung in mein Leben eingreift. Meinen Schwerbehindertenausweis habe ich auch erst seit ungefähr drei Jahren, obwohl ich schon seit 20 Jahren beeinträchtigt bin. Meine Mutter hat immer gewollt, dass ich autonom bin. Somit habe ich mir selbst auch immer wieder gesagt, dass ich etwas schaffen kann.
Im Nachhinein bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob das immer so gut war. Im Beruf macht mich das vielleicht erfolgreicher, weil ich dadurch den akademischen Weg einschlagen konnte. Auf der anderen Seite hat das aber auch dazu geführt, dass ich nie einen Schutzraum oder sowas in der Art hatte. Ich habe immer alles selbst organisiert und verwaltet.
C: Was bedeutet die Beeinträchtigung an sich für dich, für das Studium, für’s Studieren? Inwieweit beeinflusst sie das möglicherweise?
R: Es gibt so ein paar Knackpunkte, wo sie zum Problem wird. Zum Beispiel bin ich relativ schnell erschöpft. Das liegt zum Teil auch an den Medikamenten. Mir hilft dagegen immer Kaffee und deshalb trinke ich auch sehr viel davon, weil er mir gut tut und das so funktioniert. Eine Schwierigkeit bei meiner Krankheit ist, dass ich mich immer möglichst gesund verhalten muss, um nicht aufzufallen. Das schaffe ich aber nur wenige Stunden am Stück. Danach muss ich mich erstmal davon erholen. Es ist für mich definitiv möglich, auf dem ersten Arbeitsmarkt zu arbeiten, aber nur, wenn niemand merkt, dass ich irgendeine Einschränkung habe. Das funktioniert aber meist nur über einige Wochen oder Monate gut, bis ich dann jemanden brauche, mit dem ich offen über Schwierigkeiten reden kann.
C: Also sowas wie eine Vertrauensperson?
R: Genau. Dazu gehört aber auch mein privates Umfeld, also Freund*innen, Familie oder meine Mutter.
Privat und Beruf ist bei mir allerdings sehr stark miteinander verbunden und der Übergang ist oft unklar. Es kommt demnach häufig vor, dass sich Personen für meine Probleme nicht interessieren und nur meine Arbeit sehen wollen.
C: Warum versuchst du denn, deine Beeinträchtigung zu verstecken?
R: Ich glaube – gesellschaftlich betrachtet – ist das größte Problem bei meiner Beeinträchtigung, dass viele Menschen auf Distanz gehen. Meine Einschränkung ist meiner Meinung nach auch die mit dem größten gesellschaftlichen Stigma. Es gibt ein paar Leute, die finden das irgendwie interessant, die beschäftigen sich dann gerne mit mir oder finden mich vielleicht auch nett. Aber ich werde einfach oft mit sozialer Isolation konfrontiert, welche sehr schwer auszuhalten ist. Je stärker meine Beeinträchtigung ist, desto mehr Leute gehen auf Abstand.
Viele Menschen ziehen auch voreilige Schlüsse. In Filmen werden Menschen mit meiner Beeinträchtigung immer als die Bösen dargestellt: der böse Joker, der verrückte Böse… Es gibt so viele Beispiele, wo der Verrückte immer auch gleich der Böse ist. Statistisch gesehen sind Psychotiker genauso gefährlich wie Gesunde. Also natürlich es gibt immer Leute, die Mist bauen, aber die gibt es ja bei den Gesunden auch.
Dann gibt es auch noch so Unterschiede bei den einzelnen psychischen Beeinträchtigungen. Depressionen sind, glaube ich, in der Gesellschaft schon ein bisschen anerkannter.
C: Wie gehst du denn mit deiner Beeinträchtigung im Studium allgemein um? Weiß das jemand von deinen Kommilitonen oder Dozenten?
R: Es wissen schon ein paar, aber im Großen und Ganzen versuche ich, die Krankheit zu verstecken. Ich glaube, dass meine Werke ganz anders dargestellt werden würden, wenn meine Krankheit öffentlich wäre. Andererseits könnte ich damit mehr Aufmerksamkeit bekommen, weil die Werke dadurch interessanter und exotischer werden. In den letzten Jahren habe ich meine Beeinträchtigung immer mal wieder in meine Arbeiten eingebaut, da sie einfach ein Teil davon geworden ist. Ich muss mich dann aber immer fragen, wie direkt und wie klar ich das darstelle. Ich bin also immer noch vorsichtig und überlege mir genau, mit wem, wann und warum ich offen damit umgehe.
Es gibt bei uns auch den Spruch: „Das Private ist politisch.“ Es gibt bei uns auch viele Gender-Diskurse, wo sexuelle Orientierung, Minderheiten und die damit verbundene Diskriminierung besprochen werden. Da wird das Private zum Beispiel auch oft als politisches Argument genutzt. Wahrscheinlich würde keiner sagen, dass er ein politischer Behinderter sei und nun die Beeinträchtigung zur Agenda machen muss. Aber ich glaube, dass sich da gerade auch noch was verändert. Wir stehen erst ganz am Anfang und es könnte noch so viel mehr getan werden.
C: Hast du denn im Studium schon mal irgendwelche Arten von Nachteilsausgleichen oder so genutzt?
R: Also im Speziellen bin ich finanziell relativ abgesichert. Ich habe eine Betreuerin, die dafür sorgt, dass ich Bafög bekomme. Sie wird über meine Beeinträchtigung finanziert und organisiert. Ich kann also in meinem Studium quasi nicht pleite werden. Ich bin demnach ein bisschen abgesichert, bin aber auch darauf angewiesen, dass eine gewisse Unterstützung da ist.
C: Und sowas wie Zeitverlängerungen für Prüfungen oder so? Hast du sowas mal genutzt?
R: Nein, habe ich noch nie genutzt. Man muss allerdings dazu sagen, dass Leistung an einer Kunstakademie immer etwas Abstraktes ist. Theoretisch kann ich eine Pflanze in einen Raum stellen und das ist dann die geleistete Arbeit, wogegen erstmal niemand etwas sagen kann. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob das sinnvoll ist, aber generell ist das mit Leistungen alles etwas anders geregelt bei uns. Das gilt auch für das spätere Berufsleben. Ich bin unterm Strich auch sehr für mich selbst verantwortlich. Allerdings kann man auch dabei etwas falsch machen. Beispielsweise wenn etwas nicht durchdacht, gerechtfertigt oder interessant ist. Dafür ist man auf der einen Seite verantwortlich. Auf der anderen Seite sollte man immer seinen Kontostand im Auge haben. Die Karriere entscheidet sich anhand der Arbeit.
C: Hast du schon mal irgendwelche Angebote für Studierende mit Beeinträchtigung deiner Hochschule in Anspruch genommen?
R: Ja, es gab einmal so eine Gesprächsrunde, die auch von einer Therapeutin begleitet wurde. Die findet, glaube ich, einmal im Monat statt. Da war ich einmal, aber das war ziemlich seltsam. Erstmal hat die um 9:00 Uhr morgens stattgefunden, was für mich eigentlich schon unmöglich war. Dadurch war es für mich nicht behindertengerecht. Niemand ist um 9:00 Uhr morgens so sortiert, dass er in einer Gruppentherapie große Probleme lösen kann. Die Therapeutin hatte allerdings nur dann Zeit. Dadurch ist von vornherein etwas gegeben, was für mich keinen Sinn macht. Das ist, als würde ich sowas für Rollstuhlfahrer anbieten, und zwar in einem Raum, der für sie nicht zugänglich ist. Das ist irgendwie Quatsch.
Hinzu kommt die Vermischung der einzelnen Teilnehmenden. In der Gruppe waren die Beeinträchtigungsgrade sehr unterschiedlich. Einige Leute waren da, die sich noch nie vorher mit der Beeinträchtigung und Therapie beschäftigt haben und andere waren wiederum am Rande ihrer Kräfte und brachten eine lange Krankheitsgeschichte mit. Ich weiß allerdings nicht, ob die schwerer Beeinträchtigten überhaupt noch an der Uni sind oder schon ihren Abschluss gemacht haben. Es kann nämlich immer vorkommen, dass es Leute nicht schaffen, weil sie einfach zu stark eingeschränkt sind.
C: Fallen dir denn irgendwelche Angebote für Studierende mit Beeinträchtigungen ein, die es noch geben sollte?
R: Meine Hochschule stellt sich als Repräsentant von Minderheiten im Sinne von Sexualität, Hautfarbe, Rassismus, Gender und Frauen dar. Also die sind ganz stark politisiert. Allerdings finde ich nicht, dass ein besonders starker Fokus auf die Behinderten gelegt wird. Das ist eher eine sehr kleine Randerscheinung an meiner Hochschule. Wenn mehr Behinderte Abitur und relevante Kunst machen würden oder in Bezug auf Kunst gefördert werden, könnten sie sich an meiner Hochschule bewerben. Aber ich glaube, die werden im Bildungssystem alle weit vorher aussortiert.
C: Warum glaubst du das?
R: Ich glaube, dass man viele Menschen mit Einschränkungen im künstlerischen Bereich mit speziellen Seminaren fördern könnte. Dazu gehört Schriftsprache, also Poesie, aber auch Musik und Bilder. Der Vorteil von meiner Beeinträchtigung ist, dass sie sehr viel mit Kreativität zu tun hat, aber auch mit Assoziation, Wortketten und Sprachverfremdung. Da kommen aber auch nicht alle hin.
C: Manche Menschen mit Behinderung werden aber auch von ihrem Umfeld ausgebremst. Ihnen wird dann gesagt, dass sie das, was sie machen wollen, wegen ihrer Beeinträchtigung nicht können.
R: Also ich hab auf solche Stimmen nie gehört. Mir waren diese Meinungen immer egal und ich mache das, was ich möchte. Natürlich steht und fällt sehr viel damit, ob man auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig wird. Ich frage mich eben, wo es nach dem Studium hingeht und wie ich überhaupt Geld erwirtschaften kann.
C: Weißt du denn schon, was du nach dem Studium machen möchtest?
R: Naja, meine Beeinträchtigung ist beispielsweise stressabhängig. Das ist natürlich eine große Einschränkung. Das heißt, wenn mein Job auf Dauer sehr stressig, schwierig und anspruchsvoll ist, lande ich früher oder später wahrscheinlich in der Klinik. Ich frage mich auch oft, wo das Minimum an Wirtschaftlichkeit ist, welches ich brauche, um klar zu kommen oder auch welche Fördermöglichkeiten es in Kombination mit der Arbeit gibt und wo meine Freiräume sind. Es gibt aber ein relativ klares, finanzielles Limit, was ich erwirtschaften sollte. Ab wann wäre ich dann aber pleite und wie muss ich mich in den Arbeitsmarkt integrieren? Das muss ich die ganze Zeit jonglieren. Es gibt aber auch niemandem, der einem das mal erklärt. Vielleicht könnte mir jemand sagen, dass 10.000€ – 15.000€ im Jahr ausreichend sind und ich nicht mehr brauche, um zu leben. Aber das tut eben niemand. Bei mir kommt aber auch dazu, dass Kunst mir sehr gut tut. Aber was ist, wenn die Krankheit mal ein Limit setzt? Ich könnte auch von vornerein sagen, dass ich mich für einen anderen Job entscheide, der zwar sicherer ist, wodurch ich mehr verdienen würde, aber trotzdem hätte ich dadurch wahrscheinlich eine niedrigere Lebensqualität.
Ein anderer Punkt sind behindertengerechte Arbeitsplätze. Für einen körperlich Behinderten ist das unabdingbar. Ohne würde es nicht funktionieren. Aber in meinem Bereich als Designer, Künstler oder was weiß ich, einen behindertengerechten Arbeitsplatz schaffen? Puh, also das wird schwierig. Für mich würde ein behindertengerechter Arbeitsplatz nämlich anders aussehen.
C: Wie denn?
R: Ich habe bisher oft erlebt, dass sich vieles in den Kaffeepausen entscheidet. Da merkt man, wer sich durchsetzt und wie sich die Hierarchien bilden. Wer lacht über bestimmte Dinge und wer nicht? Wer macht Witze über wen? Da gibt es ganz viele nonverbale Grenzen. Durch meine Grundbeeinträchtigung bin ich aber relativ paranoid. Es gibt gewisse Bereiche, wo ich sehr empfindlich bin. Wenn jemand einen Witz über mein Aussehen oder mein Körper macht, kann mich das so stark verletzen, dass ich noch stundenlang darüber nachdenke. Habe ich etwas Falsches gesagt oder getan? Mag die Person mich nicht?
Ein behindertengerechter Arbeitsplatz würde für mich bedeuten, dass ich die Möglichkeit bekomme, über sowas zu sprechen. Darunter zählen auch meine Teammitglieder, mit denen ich offen kommunizieren kann, was meine Schwierigkeiten sind. Man sollte den Grundrespekt eines Mitarbeiters nicht verlieren, sowohl unter den Kolleg*innen als auch bei dem Chef. Es würde mir schon reichen, wenn der Chef eine anerkennende und respektvolle Sprache hat, aber das ist eben nicht immer der Fall. Oder zum Beispiel, eine versteckte Böswilligkeit von einem Kollegen wäre fatal.
Ich glaube Fairness ist auch etwas, was ich wegen meiner Beeinträchtigung von meinem Umfeld erwarte. Es muss nicht viel sein. Aber oft sage ich, dass 10% mehr Rücksicht als normalerweise mir schon total viel helfen würden. Dazu gehört manchmal auch nur ein Bitte und Danke, aber auch mal hinschauen und zuhören. Das reicht schon. Das sind keine utopischen Sachen.
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