Du möchtest dir den Erfahrungsbericht von Holger lieber anhören statt ihn zu lesen? Kein Problem, wir haben ihn einfach für dich eingesprochen:

Hallo, mein Name ist Holger. Ich bin 31 Jahre alt und interessiere mich vor allem für Musik (Sammlung, Produktion, Lyrics, Konzerte, etc.) und Freizeitparks.
Ich studiere Soziale Arbeit an der Katholischen Hochschule (KatHO) Nordrhein-Westfalen am Standort Köln und bin im achten Semester. Die Regelstudienzeit meines Studiengangs beträgt sechs Semester. Aufgrund einer Verzögerung bezüglich des Praxissemesters und der anschließenden Corona-Pandemie war es mir jedoch leider nicht möglich, das Studium in dieser Zeit abzuschließen.

Ursprünglich hatte ich mich bei der TH Köln beworben. Dort habe ich allerdings eine Absage erhalten. Aus diesem Grund habe ich mich dann nach Alternativen umgesehen und bin schließlich auf die KatHO gestoßen. Übrigens: Vorher hatte ich von dieser Institution noch nichts gehört. Ich habe ein komplettes Wochenende für eine umfassende Bewerbung aufgewendet. Da ich von meiner Beeinträchtigung zu diesem Zeitpunkt noch nichts wusste, spielte sie hierbei keine Rolle.

Meine Beeinträchtigung

Ich habe das sogenannte Asperger-Syndrom, das zu den Autismus-Spektrum-Störungen zählt. Man hat sich in der Diagnostik für diesen Begriff entschieden, weil sich hinter dem Begriff „Autismus“ viele verschiedene Symptomatiken verbergen, die zu den unterschiedlichsten Ausprägungen dieser Entwicklungsstörungen führen. Ein allgemeines Symptom oder eine auf alle Personen zutreffende Einschränkung existiert eigentlich nicht: Auf der einen Seite gibt es Autisten, die sich nicht artikulieren können und aufgrund ihrer Schwerbehinderung auf ein Leben in einem Wohnheim bzw. Pflegeheim angewiesen sind. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Betroffene, deren Entwicklung weitgehend normal verläuft und die nur in bestimmten Bereichen gewisse Auffälligkeiten und Defizite zeigen.

Aufgrund der eher geringen Auffälligkeiten wird das Asperger-Syndrom auch als „Übergang zur Normalität“ bezeichnet. Betroffen weisen vor allem motorische Defizite sowie Schwierigkeiten in der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung auf.

Trotzdem hatte und habe ich natürlich immer wieder mal mit diversen Einschränkungen zu kämpfen. So erfülle ich beispielsweise das Symptom, alles wörtlich zu nehmen. Deutsche Redensarten und Sprichwörter haben sich mir früher nicht erschlossen. Deshalb lernte ich die gängigsten über die Jahre hinweg auswendig, um sie einordnen und interpretieren zu können. Man kann sagen, dass ich mir deutsche Sprichwörter wie eine Fremdsprache angeeignet habe. Dennoch stoße ich natürlich immer wieder auf neue, weshalb ich den Speicher immer weiter auffüllen muss.

Eine weitere meiner Auffälligkeiten ist die sogenannte Kontextblindheit. Der soziale Kontext verlangt Verhaltensweisen, die ich aufgrund meines Asperger-Syndroms nicht erfüllen kann. Ein Freund hat zum Beispiel einen schönen Urlaub verbracht und will mir unbedingt die Bilder zeigen, die er dort gemacht hat. Also fragt er mich, ob ich daran interessiert bin, mir die Bilder anzuschauen. Der soziale Kontext verlangt an dieser Stelle eine uneingeschränkte Zustimmung, selbst wenn man eigentlich keine Lust hat, sich die Bilder anzuschauen.
Aufgrund meiner Kontextblindheit würde ich aber immer so antworten, wie ich wirklich denke und empfinde. Wenn ich also nicht interessiert bin, sage ich das auch so. Ich würde meine Antwort zudem nicht hinter einer Ausrede verstecken, sondern ziemlich unhöflich auf die Gegenseite wirken.

Die bereits erwähnten motorischen Defizite und die Probleme hinsichtlich der Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitung gehören ebenfalls zu meinen Symptomen. Wobei ich sagen muss, dass meine motorischen Defizite mit den Jahren nachgelassen haben, da ich sie durch gezieltes Training reduzieren konnte. Die Probleme hinsichtlich der Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitung sind bei mir dafür aber umso stärker ausgeprägt. Sie zeigen sich vor allem dann, wenn ich mich in einer neuen Gegend aufhalte oder mit Dingen zu tun habe, die sich zu stark ähneln.

Hier mal ein Beispiel für die visuelle Wahrnehmungsverarbeitung:
Ich konnte jahrelang nicht selbstständig mit dem Zug fahren. Bis zu meinem 20. Lebensjahr war ich selten bis nie auf Bahnen angewiesen, weshalb ich diesen Umstand nicht gezielt trainieren konnte. Erst im Alter von 19 Jahren habe ich langsam aber sicher damit angefangen, verschiedene Routen selbstständig abzufertigen. Dabei habe ich jedoch immer darauf geachtet, dass ich mir im Vorfeld ausnahmslos jeden Umstieg, jeden Fußweg, jede Uhrzeit, jedes Gleis und alle Abfahrtszeiten punktgenau notiere. Ich habe mir quasi für jede Strecke eine Art Anleitung erstellt. Trotzdem musste ich sie sehr oft abfahren, um Sicherheit zu gewinnen. Mit den Jahren bin ich dazu übergangen, den gesamten Linienplan der KVB auswendig zu lernen, damit ich mich zumindest in Köln vollkommen frei bewegen kann. Mir fällt zu fast allen Haltestellen eine entsprechende KVB-Linie ein, sodass ich im Notfall immer mobil bleibe. Ansonsten könnte es passieren, dass mich die vielen Eindrücke einer Großstadt so sehr überfluten, dass ich nicht mehr dazu in der Lage bin, Dinge zu selektieren. Dies würde dazu führen, dass ich mich entweder gar nicht mehr bewege oder ziellos umherirre.

Zur Wahrnehmungsverarbeitung: Ich habe ein extrem großes Problem mit Dingen, die sich zu stark ähneln. Verwechslungen auf Lebenszeit sind bei mir also vorprogrammiert. Das betrifft nicht nur visuelle Sachen, sondern auch schriftliche Aufgaben. Hierbei ist vor allem die häufig genutzte Prüfungsform Multiple Choice zu nennen, die für mich eine nahezu unlösbare Hürde ist. Fragebögen, die sich mit meiner Person beschäftigen, kriege ich hin, wenn auch beim ersten Mal nur mit Unterstützung. Bei meiner ersten Blutspende in der Uniklinik Köln musste ich den Fragebogen beispielsweise zusammen mit einer Ärztin ausfüllen.

Mittlerweile habe ich die Fragen auswendig gelernt und weiß, welche Antworten ich ankreuzen muss. Wenn es jedoch um Wissensabfragen geht, ist es mir quasi nicht möglich, die entsprechenden Fragen korrekt zu beantworten. Aus diesem Grund habe ich bei nahezu allen Abfragen mit dieser Wissensform eher unterdurchschnittlich bis schlecht abgeschnitten. Früher habe ich diesen Umstand mit Prüfungsangst erklärt – Stichwort: Blackout. Damals war mir nicht bekannt, dass es so etwas wie den Asperger-Autismus gibt. Ansonsten hätte ich bestimmt nicht drei Jahrzehnte gewartet, um mir eine entsprechende Diagnose stellen zu lassen.

Der Arzt, der mein Asperger-Syndrom festgestellt hat, fand die ganze Sachlage übrigens so eindeutig, dass er mich gefragt hat, warum ich nicht schon viel früher zu ihm gegangen bin.

Im Januar 2021 habe ich eine Mail an die Professor*innen der Module M18 und M19 geschrieben und sie gebeten, die Prüfungsform zu ändern., da es sich hier um Multiple-Choice-Prüfungen handelt. Hierfür habe ich das entsprechende Formular ausgefüllt und ein ärztliches Attest besorgt.

Wie ich mein Studium finanziere

Mein Vater unterstützt mich jeden Monat mit einem Taschengeld, von dem ich mir in erster Linie Studienbücher gekauft habe. Ansonsten übe ich einen Minijob im Social-Media-Bereich auf 450 €-Basis aus, um mich zu finanzieren. Dieser Minijob hat übrigens nichts mit dem Berufsfeld des Studiums zu tun.

Den gerade erwähnten Minijob übe ich seit Oktober 2017 aus. In diesem Monat hat auch mein Studium begonnen. Ich war allerdings schon vorher für die entsprechende Firma tätig: Von August 2014 bis September 2017 habe ich fast ohne Unterbrechung und meistens in Vollzeit für das Unternehmen gearbeitet.

Angebote der KatHO Köln

Bisher habe ich nur den Nachteilsausgleich in Anspruch genommen. Bis dato wusste ich ehrlich gesagt gar nicht, dass es ein vorgefertigtes Formular für solche Fälle gibt. Meiner Meinung nach ist die KatHO bezüglich der Angebote für Studierende mit Beeinträchtigung bestens aufgestellt. Mir fällt jedenfalls nicht ein, was es ergänzend noch geben sollte. Es existiert ein eigenes Büro für Nachteilsausgleiche und es besteht die Möglichkeit, jederzeit klärende Gespräche führen zu können. Darüber hinaus ist mein Studiengang für Beeinträchtigungen in der Regel sowieso ein bisschen empfänglicher, da Sozialarbeiter*innen im Berufsleben häufig mit vergleichbaren Fällen zu tun haben bzw. mit ihnen arbeiten. Wir sind in dieser Hinsicht eher sensibilisiert.

Was ich mir wünsche

Restlos alle Haltestellen für Bus und Bahn in Köln sollten barrierefrei sein. Die KatHO liegt direkt an der Haltestelle „Reichenspergerplatz“, die man mit den KVB-Linien 16 und 18 anfahren kann. Ausgerechnet diese Haltestelle ist nicht barrierefrei, sodass Studierende mit einer unter Umständen schweren körperlichen Beeinträchtigung – von denen wir an der KatHO selbstverständlich welche haben – dazu gezwungen werden, an einer anderen Haltestelle auszusteigen. Dieser Punkt ist jedoch allgemein und hat nichts mit meiner Hochschule zu tun.
An der KatHO selbst wäre es von Vorteil, wenn es restlos alle Vorlesungen als Audiodatei zum Download gäbe, für den Fall, dass sich dort vollständig erblindete Personen einschreiben. Auch diesen Fall habe ich im Laufe meines Studiums selbst erlebt.

Ich möchte restlos allen Studierenden mit einer Beeinträchtigung raten, sich rechtzeitig eine Kontaktperson zu suchen und die Beeinträchtigung klar und deutlich zu kommunizieren. Das gilt vor allem für Beeinträchtigungen, die man nicht sieht. Menschen, die im Rollstuhl sitzen, sieht man ihre Beeinträchtigung zum Beispiel sofort an. Aus diesem Grund fällt es anderen Menschen hierbei leichter, ihre Hilfe anzubieten. Mein Asperger-Syndrom kann man jedoch nicht erkennen. Ich war jahrelang ein Außenseiter und habe mich von anderen Menschen meistens von selbst abgegrenzt. Dabei habe ich immer gedacht, dass meine Persönlichkeit das Problem sei. Mittlerweile weiß ich, wie ich mit meinen Wesenszügen umzugehen habe und welche Tricks ich anwenden kann, um meine Beeinträchtigung abzuschwächen. Allerdings habe ich damit viel zu lange gewartet. Wenn ich mich früher um meine Beeinträchtigung gekümmert hätte, wäre mir im Laufe der Jahre viel erspart geblieben. Aus diesem Grund würde ich allen, die meine Situation teilen, raten, lieber einer Vermutung nachzugehen als nichts zu tun. Im schlimmsten Fall bringt der Gang zum Arzt nichts, aber im besten Fall kann dir eine eventuelle Diagnose helfen, so früh wie möglich dagegen anzugehen.

Kontakt

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